Bericht über das SBV-Seminar
09.03. bis 12.3.2009
Sollten die folgenden Zeilen einen leicht schwärmerischen Touch haben, so sei versichert, dass der Autor von Bildung Ohne Barrieren keinerlei Vergünstigungen erhält. Daher - so der Umkehrschluss - hat das Schwärmerische in diesem Fall durchaus etwas Objektives.
Ein Experiment. Diesmal fand das Seminar für blinde und sehbehinderte Schwerbehindertenvertrauensleute nach 6 Jahren nicht mehr im saarländischen Kirkel statt. Das Hotel des VDK in Baden-Baden war Ort des Geschehens. Es liegt auf dem "Magnetberg", das klingt geheimnisvoll. Und so ist es auch, denn trotz intensiver Recherche ist es mir nicht gelungen zu ergründen, warum der Magnetberg so heißt wie er heißt: Keiner wusste es. Und da ich es nicht herausbekomme, wird mich der Magnetberg weiter an "Jim Knopf und die Wilde Dreizehn" erinnern. Denn auch dort gibt es zwei Magnetklippen, gelegen mitten im "Barbarischen Meer". Das einzig Barbarische in Baden-Baden war das Wetter. Nix von Winter ade und allfällige Frühlingsgefühle mussten sich mehr "indoor" abspielen, wie man heute so sagt, also zum Beispiel im Schwimmbad des Hotels.
Der Montag führte in weite Ferne, nämlich zur Rente, die für Manche vielleicht so schnell gar nicht greifbar sein wird. Maren Elsner von der Deutschen Rentenversicherung in Karlsruhe gab uns einen ganzen Vormittag geduldig Nachhilfe in Sachen Erwerbsminderungsrente und Altersrente. Es ist ein sehr trockenes Schwarzbrot und ich für meinen Teil bin froh, dass nach dem Vortrag auch Materialien per Mail angekündigt wurden. Während dieser Bericht entsteht, sind sie auch schon angekommen - ein Umstand, der lobend hervorgehoben werden muss. Warten wir doch noch immer auf Begleitmaterial des letzten und vorletzten Jahres - ähnlich wie der Münchner im Himmel auf die göttlichen Eingebungen für die bayerische Staatsregierung wartet.
Am Dienstag ging es zu einer - sagen wir mal - politkulturellen Fortbildung nach Straßburg. Für das frankophile ambiente sorgte dort die Bad Reichenhaller Wahlfranzösin Irmi Dillenburg, die uns die über zweitausend Jahre alte Stadt mit ihrer Bewegten Vergangenheit sehr kurzweilig nahe brachte: Vom Münster mit Pranger, Turm und astronomischer Uhr, übers Fachwerk der historischen, von Wasser umgebenen Altstadt, bis hin zu den Einrichtungen der Europäischen Union oder dem französischen Schulsystem mit seinem ganz eigenen Ansatz.
Beeindruckt hat mich das Europaparlament. Es ist ein sehr repräsentativer Bau mit viel Symbolik in den beiden zylindrisch gehaltenen Baukörpern. Wenn zum Beispiel eine Bürofront teilweise unfertig aussieht, als fehlten da noch Räume, so soll dies anzeigen, dass Europa offen ist für neue Mitglieder der Gemeinschaft. In der Lobby des EU-Parlaments überschreitet man auf einer Brücke ein Gebilde aus Schiefertafeln, die so verlegt sind, dass eine bewegte Wasserfläche assoziiert werden kann: Europa im Fluss, Strömungen der Gedanken, Ideen, Meinungsverschiedenheiten.
Ein Gespräch unserer Gruppe mit dem Europaabgeordneten Caspary brachte uns zwar keine neuen Erkenntnisse über die europäische Sozialpolitik (denn Herr Caspary vertritt eher einen wirtschaftsorientierten Ausschuss), wohl aber erhielten wir Einblicke in das bewegte Leben der Europarlamentarier zwischen Wahlkreis, Ausschussarbeit in Brüssel und Plenarwochen in Straßburg.
Interessant auch der kurze Besuch einer Debatte im Plenarsaal: Dort sind die Redebeiträge straff reglementiert, der Vorsitzende legt die Redezeit auf wenige Minuten fest und die abgeordneten sprechen stehend vom eigenen Platz, ohne nach vorne zu kommen. Via Kopfhörer lassen sich Übersetzungen in bis zu 23 EU-Sprachen abrufen - eine ebenso hübsche wie nützliche Spielerei, kann man auf diese Weise inhaltlich eher mageren Redebeiträgen doch noch den klanglichen Reiz einer fremden Übersetzung abtrotzen. Auch dieser Dolmetschservice ist ein Meisterwerk der Logistik - wie überhaupt der ganze EU-Tagesablauf. Und ganz billig ist es auch nicht. Das scheinen die Europaabgeordneten aber zu spüren, denn allenthalben war man um ein gutes Image bemüht: Es wird viel gearbeitet, das EU-Parlament ist Vordenker für die Mitgliedsländer, dreiviertel der Bundestagsgesetze sind Umsetzungen dessen, was zuvor im Straßburger Plenarsaal verhandelt wurde. Fein, haben die Kopfhörer also doch ihren Sinn.
Mittwoch und Donnerstag gehörten dem Thema "barrierefreies Intranet". Denn in vielen Betrieben ist das Intranet heute unverzichtbar, um Informationen der Geschäftsleitung dienststellenübergreifend an die Beschäftigten zu verteilen, um die Diskussion der Mitarbeiter untereinander zu bündeln und es gibt auch immer mehr Anwendungen, die auf der Plattform Intranet aufsetzen. Dass es da noch Vieles in Sachen Barrierefreiheit nachzuholen gibt, wurde recht schnell deutlich, als die Erfahrungen der Teilnehmer mit den Intranetzen ihrer Betriebe zusammengetragen wurden. Konfrontiert damit wurden drei Mitarbeiter von BIK: dem Projekt "barrierefrei informieren und kommunizieren". Bik hatte Karsten Warnke, Herbert Rüb und Carsten Kaul nach Baden-Baden geschickt.
Die Probleme sind vielfältig: Schlechter Umgang mit den Redaktionssystemen des Intranets, CMS = Content Management System; unbedienbare Anwendungen, z.B. für' s E-Learning oder ebenso banale wie private Dinge wie die Zeiterfassung. "Ich bin drin" ist häufig die letzte Vollzugsmeldung, die ein blinder Anwender geben kann, nachdem er sich mit Personalnummer und Passwort angemeldet hat. Danach geht, zumindest für ihn, meist der Schirm aus. Schwierig auch PDF-Dokumente, die oft nur als Scan oder ohne Tags - und damit für Screenreader schwer zugänglich hinterlegt sind.
Breiten Raum nahmen daher die rechtlichen Möglichkeiten ein, ein barrierefreies Intranet durchzusetzen. Richtig "starke" Paragraphen aber findet man nicht wirklich. Am ehesten helfen das Sozialgesetzbuch IX, das Arbeitsschutzgesetz mit seinen Verordnungen und die technische Umsetzung der BITV (barrierefreie Informationstechnikverordnung) weiter. Besser wird es schon sein, den Arbeitgeber zu überzeugen, dass das Geld, das
er für ein barrierefreies Intranet einsetzt, letztlich allen zugute kommt. Besonders aber den schwerbehinderten Mitarbeitern, die erst so ihre volle Arbeitskraft entfalten können. Sinnvoll ist es, eine entsprechende Dienstvereinbarung abzuschließen oder die Barrierefreiheit von Intranet und dort hinterlegten Dokumenten in die Integrationsvereinbarung aufzunehmen. Hier sind Personal- und Betriebsräte sowie die Schwerbehindertenvertreter gefordert. Will allerdings der Arbeitgeber nicht, steht am Ende leider die Erkenntnis, die sich jeder Wiener zutiefst verinnerlicht hat: "Wann der Heargott net wü, dann geht goar nix".
Einig waren sich die Teilnehmer des Seminars, dass das Thema mit BIK eine Fortsetzung finden muss: Entweder beim nächsten Seminar oder in einem eigenen Workshop, in dem es dann mehr um den technischen Aspekt von Barrierefreiheit geht. Denn auch wenn die Anwender meist keine Techniker sind, werden sie trotzdem häufig von den Entwicklern mit sehr technischen Fragen konfrontiert. Und da wäre es schon gut, man wüsste, worüber man redet.
Der Magnetberg war sehr anziehend. Und so wird auch das nächste SBV-Seminar von BOB Anfang März kommenden Jahres wieder dort stattfinden. Das Personal, das bislang nie eine so große Gruppe blinder und sehbehinderter Gäste hatte, hat sich prima auf unsere Bedürfnisse eingestellt - und die Küche ist nach Qualität und Quantität derjenigen Kirkels ebenbürtig. So bleibt die Hoffnung, dass im kommenden Jahr wieder ein paar mehr Interessenten den Weg zum Magnetberg finden. Der Weg dorthin ist nachzulesen bei Jim Knopf, Band zwei.
Peter Beck