Bericht über das SBV-Seminar 
25.2. bis 2.3.2007

Das Urteil meiner Waage war vernichtend. Die absolute Zahl tut hier nichts zur Sache, aber die Differenz zum Messergebnis vor einer Woche machte wieder einmal klar: Seminare beim Bildungszentrum der Arbeitskammer des Saarlandes gehen nicht spurlos an einem vorüber. Das ist nun freilich keine neue Erkenntnis. Allerdings wiegt sie ebenso schwer wie die andere, die auch jedes Jahr neu zu verifizieren ist: Auch inhaltlich zehrt der werte Absolvent lange von den Pfunden des Wissens, das ihm oder ihr in den Seminarräumen zu Teil wird. Und diesmal gab es besonders viel Futter zu verdauen, verteilt auf fünf Arbeitstage, so dass sich daran mancher Arbeitgeber beinahe verschlucken mochte, vor allem diejenigen, die den Bildungshunger ihrer Beschäftigten mittlerweile finanziell deckeln. Dennoch gelang es 27 Vertrauensmännern und –Frauen, sich vom 25. Februar bis zum 2. März an den reich gedeckten Seminartisch zu setzen.
Und es ist gut, wenn man den Küchenmeister kennt. So gehörte ein Tag ganz dem Gespräch mit Manfred Jost vom Integrationsamt in Saarbrücken. Da ging es schon fast familiär zu, als er uns schwerpunktmäßig die Kniffe und Winkelzüge des Kündigungsschutzes nahe brachte, immer eng an praktische Fälle angelehnt, die dem toten Buchstaben des Gesetzes erst den Geist des gelebten, betrieblichen Alltags einhauchen. Viele Fragen wurden gestellt und auch (fast) alle umfassend beantwortet. Das Gefühl, das danach bleibt, ist dieses: Man kann mit ein wenig Nachdenken und Klugheit im Betrieb doch etwas bewegen. Und neben dem reinen Zugewinn an Faktischem Wissen ist es gerade diese Motivation, die die Referate von und Gespräche mit Manfred Jost so wertvoll machen. So bleibt er auch sicher im kommenden Jahr ein „Muss“ für die Tagesordnung.

Interessant waren auch gleich zu Beginn die Ausführungen eines ehemaligen Sozialrichters, der heute für den VDK unterwegs ist. Er erläuterte die Geschichte der Sozialgerichtsbarkeit – es gibt sie in Deutschland seit 1953 – und die Geschichte von Renten- und Krankenversicherung. Diese wurde in den 1880er Jahren von Reichskanzler Bismarck angestoßen.

Schwerpunktthema aber waren psychische Behinderungen. Sie nehmen zu, bedingt durch Arbeitsverdichtung, Stress aller Art und aufgrund der Mühe, sich in dieser Welt zu orientieren. Aber psychische Erkrankungen werden auch stärker wahrgenommen als früher. Das bestätigten die Referentinnen Renate Warken-Kuhn und Uschi Trenz-Graf vom Integrationsfachdienst. Behaupteten noch vor Jahren viele Schwerbehindertenvertreter, das Thema der seelischen Erkrankungen komme bei ihnen im Betrieb nicht vor, so ist das Sensorium heute geschärfter. Ziel der beiden Tage mit den Referentinnen war es nicht, sich hernach als Minipsychologe zu fühlen, der alsbald auf die Pirsch durch die Firma geht und jedem schrägen Vogel den Stempel der psychischen Behinderung aufdrückt. Vielmehr sollte sich ein Gefühl dafür einstellen, was eine psychische Behinderung ausmacht, wie es den Betroffenen damit geht und welche Verhaltensweisen hellhörig machen sollten, ohne eine Lawine des Aktionismus loszutreten. Dazu gehört zunächst einmal, über Krankheitsbilder Bescheid zu wissen: Depression, Manie, Psychose: Was ist das eigentlich genau. Und wenn es denn klar ist, dass Kollege Müller oder Kollegin Meier darunter leidet, wie geht es dann weiter?

Wie ein Patient, der unter Angstzuständen litt, mit seiner Behinderung offensiv umgeht, wurde uns eindrücklich vom Betroffenen selbst vorgestellt. Wer sich genauer dafür interessiert, klicke auf www.rolandrosinus.de.

Vorgestellt wurden von den Referentinnen außerbetriebliche Hilfen, zum Beispiel ein berufliches Rehabilitationszentrum für Menschen mit psychischen Behinderungen. Aber auch die innerbetrieblichen Möglichkeiten wurden breit gefächert aufgezeigt: Wenn der Arbeitgeber gewonnen ist, ist das die halbe Miete. Dann gibt es vom Integrationsfachdienst und von Rehaträgern zahlreiche Fördermöglichkeiten. Angefangen von der stufenweisen Eingliederung über Qualifizierungsmaßnahmen und den Ausgleich von Minderleistungen. Wichtig ist in jedem Fall: Frühzeitig, offen und in der Haltung der Achtsamkeit miteinander zu reden.

Das Thema einer achtsamen Lebenshaltung stand auch im Mittelpunkt des letzten Seminartages. Achtsamkeit ist nach aussage von Oberarzt Jürgen Horn von der Berusklinik eine angeborene Grundhaltung, eine Tugend und Kraftquelle, auf die sich jeder mit etwas Übung besinnen kann. Es geht dabei um Geduld, Akzeptanz, Entschleunigung im Alltag und um die Bereitschaft, die Dinge immer wieder neu zu sehen, um Mitgefühl und Humor und - ganz wichtig – um die Fähigkeit loszulassen. An die Stelle des Funktionierens und Reagierens tritt das Leben im und für den Augenblick. Das ist heilsam und wird auch von der modernen Medizin wieder entdeckt. Damit im Zusammenhang stehen Probleme wie Tinitus und Hörsturz, über die Jürgen Horn auch sehr Interessantes zu berichten wusste: So ist man inzwischen der Meinung, dass die Infusionen, die oft nach Hörstürzen verabreicht werden, eigentlich nichts bringen.

Natürlich gab es auch in diesem Jahr wieder reichlich Gelegenheit, die Situation in den eigenen Betrieben miteinander zu reflektieren – sowohl im Seminarraum gleich am Montagfrüh als auch allabendlich in der Pilsstube. Gerade dieser Erfahrungsaustausch macht die BOB-SBV-Seminare so wertvoll. Und noch etwas schätzten alle Teilnehmer: Das Seminar war und bleibt hoffentlich eine Powerpoint-freie Zone.

So und damit jetzt nicht der große Wissensspeck ansetzt, sind nach dem Seminar alle aufgerufen, das Gelernte im betrieblichen Alltag wieder abzutrainieren und in Muskelmasse des Engagements umzusetzen. Mehr SBV-Kraftnahrung gibt’s – da waren wir alle sicher – im kommenden Jahr. Und dazu wird dann auch wieder die Kirkeler Küche beitragen, Waage hin oder her.

PB