Schrauben – Schwitzen – Schlottern

Vom Wissen, was die Computerwelt im innersten zusammen hält

Hardware Workshop vom 16. - 18.05.08
Von Jürgen Fleger


„Der Computer hilft Probleme zu lösen, die man ohne ihn gar nicht hätte!“ Dieser Satz geht mittlerweile wohl allgemein anerkannt glatt als Binsenweisheit durch. Und auch mir ist er nur all zu vertraut. Immerhin habe ich durch mein vorschnelles und wohl auch etwas unbeholfenes Handeln einst einer Soundkarte meines Computers vorzeitig das elektronische Licht „ausgeblasen“. „Aber naja“, denke ich, „vielleicht geht es den übrigen Workshopteilnehmern ja auch nicht besser“, als ich aus meinem Taxi vor dem Hotel Ochsen in Kehl aussteige.

Insgesamt vier Teilnehmer werden wir sein, beim ersten Hardware-Workshop des Vereins „Bildung Ohne Barrieren“ (BOB) in Kehl-Kork in Baden-Württemberg. BOB veranstaltet rund um’s Jahr zahlreiche Workshops und Seminare für blinde und sehbehinderte Menschen. „Dabei legt der Verein großen Wert darauf, dass die Inhalte die unmittelbare Lebenswirklichkeit der Seminarteilnehmer widerspiegeln“, sagt der Vorsitzende des Vereins Werner Sänger aus Kehl.

Als ich durch den Hinterhof zu meinem Zimmer geführt werde, bin ich angenehm überrascht. In diesem Hof sitzt eine fröhlich schwatzende Männerschar und genießt den Aufenthalt offensichtlich sehr. „Könnte auch menschlich ein nettes Wochenende werden“, denke ich im Vorbeigehen. Und dann die große Überraschung: Der Flügel, in dem ich wohne, ist barrierefrei zugänglich!

Der Aufzug, der die insgesamt sechs Stockwerke des Hotels bedient, ist ziemlich geräumig. Hier hat jeder Rollstuhl genügend Platz. Die Tasten zur Etageneingabe sind in Rolli-freundlicher Höhe und, neben den gut fühlbaren Schwarzdruckzahlen, mit Blindenschrift beschriftet. Die Flure sind breit, die Türen und Zimmer ebenso. Wie kaum anders zu erwarten, hat mein Zimmer auch ein Rollstuhl-freundliches Badezimmer. Das ist schon bemerkenswert, in einer 30.000-Seelen-Stadt im Herzen des Badenserlandes.

Als ich nach dem Frischmachen wieder nach unten gehe, wird mir bald freudig klar, dass die schwatzenden Männer meine Männer sind. Also genauer gesagt natürlich nicht meine, aber die meiner Gruppe. Ich setze mich dazu und schnell sind wir in einer munteren Plauderei. Eigentlich hatte ich gedacht, dass die erste Lerneinheit schon an diesem Abend stattfinden würde. Das war aber eine Fehlannahme. Denn schnell ist das erste Bier getrunken, dann das Zweite und so weiter. „Also gut“, denke ich, „dann halt morgen. Wäre ja irgendwie auch Schade, diesen netten Kennenlernprozess durch schnöde Vortragsinhalte abzubrechen.“

Am Samstagmorgen gibt es dann noch mal eine formale Vorstellungsrunde für einen weiteren Teilnehmer. Frei von der Leber weg erzähle ich von meinem Hardwaretrauma, resultierend im Mord an meiner Soundkarte, siehe oben. „Das kriegen wir schon hin“, ermutigt mich der Seminarleiter Wilhelm Lickteig. Wie vermutlich nicht anders zu erwarten gewesen war, besteht die erste Lerneinheit an diesem Morgen aus Hardwaretheorie. Lickteig erzählt von Pins und Datenbahnen, von parallelen und seriellen Schnittstellen, von geerdeten Körpern und Leitfreien Schutzlacken auf Rechnergehäusen. Irgendwann, als uns die Köpfe rauchen, geht’s dann aber endlich ran an den „Speck“.

Bevor das Innere eines Rechners mit den Händen berührt werden darf, muss der Körper seine statische Aufladung loswerden. Sonst könnten Bauteile des Computers einen „ungesunden“ Stromschlag bekommen und wären unbrauchbar. Der einfachste Weg zum Entladen ist laut Lickteig, mit den Fingern kurz den kleinen Bügel in einer Steckdose zu berühren. Natürlich ohne dabei mit der Stromleitenden Phase der Steckdose in Berührung zu kommen.

Frisch entladen, mache ich mich ans Werk und öffne ganz ungeduldig meinen auf die Seite gekippten Übungsrechner. „Kann ja nichts passieren“, denke ich, „Schließlich sind es alte Geräte und wenn sie kaputt gehen, ist das wohl nicht so schlimm, sind ja auch nicht meine“. Ein Gewirr von Kabeln quilt mir aus dem geöffneten Rechner entgegen. Außerdem ist da ein kleines Kästchen mit einem mini-Ventilator, zwei schmale, lange Plättchen und rechts an der Seite die Rückseiten der Festplatte, des Diskettenlaufwerks und eines CD-Rom-Laufwerks.

Das wichtigste Bauteil im Gehäuse eines Computers ist wohl unbestritten die Hauptplatine, das sogenannte Motherboard. Darauf sind verschiedene Bauteile festgesteckt. So finden sich zum Beispiel große Kühlrippen, an denen der Prozessor, die sogenannte CPU, festgemacht ist. Direkt daneben ist der Haupt- oder auch Ramspeicher, auch zum feststecken. Unterhalb des Prozessors sind sogenannte KartenSteckplätze. Hier werden Bauteile festgemacht, die Zusätzlich gewünscht werden, zum Beispiel eine weitere Sound- oder Grafikkarte. Zusätzlich deshalb, weil heutzutage die grundsätzlich erforderlichen Bauteile wie Sound- und Grafikchip bereits fest auf dem Motherboard angebracht sind.

Auf dieser elektronischen Spielwiese tummeln wir vier uns jetzt, bestens unterstützt von Lickteig und seinem Co-Referenten Daniel Sänger. Auch ich fasse wagemutig in den Computer. Fast schon vergessen ist mein Trauma. Es beginnt mir richtig Spaß zu machen.

Am Nachmittag legt Lickteig noch einen drauf. Jetzt soll es nicht mehr nur um’s anschauen gehen. Mit speziellem Werkzeug sollen wir den Rechner einmal komplett zerlegen. „Kein Problem“, denke ich, „auseinander habe ich noch alles bekommen“ und mache mich ans Werk.

Das Schrauben, Ziehen und Drücken bringt uns aber ganz schön ins Schwitzen. Der ausgebaute Prozessor aus meinem Rechner geht einmal durch alle Hände. Ziemlich genau fühlt man auf dem etwa drei mal drei Zentimeter großen Plättchen das kleine quadratische Herz des ganzen Computers, den Chip, durch den beim Arbeiten unermüdlich Bits und Bytes strömen. Auf der Unterseite der Platte sind eine Menge Metallpins zu fühlen, die die Kontaktstelle zum Motherboard bilden.

Dann, nach einer ganzen Weile des Werkelns, Schraubens und Klopfens, der schock: Wir sollen unseren Rechner wieder zusammenbauen „und der soll dann natürlich auch noch funktionieren“, ruft Lickteig in den Raum. Jetzt beginnt das große Schlottern. Denn diese ganzen elektronischen Bauteile zu zerlegen ist eine Sache, sie wieder zusammenzufügen aber eine ganz andere.

Trotzdem machen wir vier Teilnehmer uns daran, alles wieder Stück für Stück zusammenzufügen. Und siehe da, nach einer ganzen Weile des stummen Hoffens ist es geschafft. Ich bin der erste, der die offene Seitenwand seines Übungs-Rechners klickend in die vorgesehenen Führungsschienen einrasten lässt und sie mit einem kräftigen Druck in die Verankerung schiebt.

Und jetzt ist er da, der große Moment, das Ende des Hoffens und Bangens. Lickteig schließt Bildschirm und Tastatur an und schiebt eine Startdiskette in das Laufwerk. Ich drücke auf „Power“. Ein leises klicken und schon erwachen die Lüfter schnurrend zum Leben. Das Diskettenlaufwerk schnarrt röhrend vor sich hin und dann …

Es ist geschafft. Mein Rechner „lebt“ noch. Er hat meine Operation am offenen Prozessor gut überstanden. In meiner Brust breiten sich Gelassenheit und Stolz aus. „Dieses Seminar hat sich gelohnt“, denke ich. Denn in meinem Kopf bin ich bereits jetzt bei meinem eigenen Rechner zu Hause. Ich denke darüber nach, wie dessen Innenleben wohl aussehen mag und wann ich Zeit finden werde, ihn einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Die Seminarteilnehmer