Bericht über das Excel-Seminar 2009

Vom 03.05.2009 – 08.05.2009 veranstaltete der Verein „Bildung Ohne Barrieren Bildungsinstitut für Blinde und Sehbehinderte Menschen e.V.“ im oberbayrischen Saulgrub einen Einsteigerkurs zur Einführung in das Arbeiten mit der Tabellenkalkulations-Software Microsoft Excel. Das Seminar fand mit fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Aura-Hotel des Bayrischen Blinden- und Sehbehindertenbundes statt.

Ich selbst komme bereits seit mehr als zehn Jahren während meiner beruflichen Tätigkeit am Computer immer wieder mit Excel in Berührung. Urlaubspläne, Termin- und Inventarlisten, Raumreservierungspläne und statistische Reports und Auswertungen. Alles das will gelesen, korrekt interpretiert und bearbeitet werden. Ich würde mich daher sicher nicht als klassischen „Einsteiger“ in die Materie charakterisieren. Dafür sind meine Kenntnisse von und meine Erfahrungen mit der Anwendungssoftware wohl schon zu konkret und zu zahlreich.
Allerdings basierten diese Erfahrungen und Kenntnisse allesamt auf autodidaktisch erworbenem Wissen über MS Excel. Ich hatte das Programm auf eigene Faust erkundet und hatte mir sogar mehrere Excel-Bücher in Brailleschrift zugelegt.
Lernen lebt zu einem großen Teil vom Wissens- und Erfahrungsaustausch mit Lehrenden und anderen Lernenden. Dies führte bei mir zwangsläufig dazu, dass mein autodidaktisches Vorgehen bald an die buchstäblichen Grenzen der Programmoberfläche stieß, die anstatt von Antworten nur mehr Fragen lieferte. Auch das schematische Lernen anhand eines Buches ist nur soweit effizient möglich, wie es der Autor vorgesehen hat. Auf nachträgliche Verständnisfragen kann nach Erscheinen des Buches in aller Regel nicht mehr eingegangen werden. Wie schön wäre es da, sich mit Excel einmal von der Pike an innerhalb eines klar strukturierten und logisch aufgebauten, didaktisch sinnvoll ausgerichteten Lehrganges zu beschäftigen.
Dieser Wunsch verstärkte sich bei mir erst recht, seitdem ich in den letzten Jahren zunehmend größere Mengen an numerischen Daten verarbeiten, auf Unterschiedlichkeit vergleichen und entsprechend Filtern und sortieren muss, was eine Paradeaufgabe für MS Excel darstellt.
Bei der Suche nach geeigneten Weiterqualifizierungsmaßnahmen ist man als blinder oder sehbehinderter Mensch hier ebenfalls mit einer Grenze konfrontiert: Während es für Berufseinsteiger bzw. Umschüler einen gewissen Rahmen von Auswahlmöglichkeiten der Berufsqualifikation gibt, gibt es für diejenigen, die sich parallel zum Beruf weiterbilden möchten, kaum sinnvolle und allgemein anerkannte seriöse Angebote.
Genau dies ist aber eine Anforderung, die sich gemeinhin allen Arbeitenden während ihres Berufslebens immer wieder stellt.
Der Weiterbildungssektor boomt trotz Finanzkrise nach wie vor. Sehgeschädigte Menschen verlieren hier zunehmends den Anschluss.
Während der Kursleiter den farbenfrohen Inhalt seines Laptop-Monitors für die Kursteilnehmer per Beamer an die Wand projiziert, dürfen Sie sich bei solchen Gelegenheiten Sätze der ratlosen Verlegenheit anhören wie „Sie hören sich das eben einfach erst mal nur an. Sie haben ja sowieso ein besseres Gedächtnis und merken sich die Inhalte im Sinn. Und die Unterlagen, die scannen wir für Sie ein!“ Überflüssig zu erwähnen, wie bescheiden die Lernausbeute bei derartigen Veranstaltungen ausfällt, wie ich sie schon so häufiger im betrieblichen Rahmen gemeinsam mit meinen nichtbehinderten Kolleginnen und Kollegen erlebt habe.
Die Ausschreibung für das Excel-Seminar in Saulgrub stellte somit für mich endlich ein Weiterbildungsangebot dar, das zum Einen meinen beruflichen Erfordernissen entsprach, als auch meinen speziellen Belangen als Mensch mit Sehschädigung Rechnung trug.

Nach meiner Anmeldung zur Teilnahme sah ich dem Seminartermin mit großer Vorfreude entgegen. Gefühlsmäßig bewegte ich mich zwischen Wissensdrang und Lust zum Lernen auf der einen Seite und Abenteuerlaune und der Aussicht auf ein paar Tage Ausstieg aus dem gewohnten Alltagsdasein auf der Anderen.
Nach der langen Anreise hatten die Kursteilnehmerinnen und –teilnehmer sowie der Seminarleiter am Abend des Ankunftstages erste Gelegenheit, in geselligem Gespräch einander kennen zu lernen. Am darauf folgenden Morgen fanden sie sich dann zur ersten Kurseinheit im vorbereiteten PC-Schulungsraum des Aura-Hotels ein.
Hier fanden wir im Großen und Ganzen mit Bildschirmvergrößerungs- bzw. Screenreader-Software und Braillezeile die Arbeitsumgebung wieder, die wir aus unserer üblichen beruflichen wie privaten Arbeit am PC gewohnt sind.
Der Kursleiter, Herr Beinert, ging zunächst auf den Aufbau von Excel-Dokumenten ein. Er erläuterte die Grundbegriffe „Arbeitsmappe“ und „Arbeitsblatt“, sowie die Strukturelemente „Zeile“, „Spalte“ und „Zelle“ und verdeutlichte dies „greifbar“ und anschaulich mit Hilfe eines Schachbrettes. Nachdem so Jede und Jeder eine grobe Vorstellung davon erhalten konnte, innerhalb welcher Umgebung und unter welchen Bedingungen wir uns in den kommenden Tagen mit der Schreibmarke auf dem Monitor und der Braillezeile bewegen würden, baute die erste Arbeitsaufgabe unmittelbar auf diese erworbenen Kenntnisse um Tabellenkoordinaten auf. Und noch am ersten Seminartag landeten wir inhaltlich bei dem, was Excel in der Hauptsache ausmacht und was dessen große Stärke ist: das flexible Rechnen und Aufbereiten von Einzeldaten und ihre Kumulation zu Teil- und Gesamtergebnissen.
So lernten wir den Umgang mit Rechenanweisungen und Funktionen und erfuhren Einiges über die Vorteile und Tücken der Daten- und Tabellenformatierung. Sehr gut gefallen hat mir, dass ich sehr viele nützliche Tastenkombinationen anzuwenden lernte, die entweder in Excel selbst integriert sind, oder die vom Screenreader zur Verfügung gestellt werden und die im Zusammenspiel mit der Anwendung Sinn machen. Auch hat der Seminarleiter großen Wert auf die Vermittlung von Arbeitstechniken gelegt. Ein Werkzeug wird erst dann zum effizienten Hilfsmittel, wenn man in der Lage ist, es auch clever einzusetzen. Praxisnahe Beispiele und Erfahrungswerte stellten in diesem Zusammenhang eine echte Bereicherung dar. 
Inhaltliches Neuland waren für mich persönlich die bedingten Anweisungen, die Excel in einfacher und verschachtelter Form zur Verfügung stellt. Es fasziniert mich, wie man auf diese Weise eine Tabelle befähigen kann, eigenständig Entscheidungen nach vorgegebenen Kriterien zu treffen. Und doch steckt hinter Alledem immer wieder nur die Programmlogik, die allen EDV-Anwendungen zugrunde liegt.
Je länger das Seminar dauerte und je tiefer die Einblicke in das Thema „Arbeiten mit Excel“ wurden, umso reichhaltiger wurde der Fundus an wertvollen Anregungen und nützlichen Impulsen, den ich ansammeln konnte, um aktuelle und zukünftige Aufgaben in meiner alltäglichen Arbeit effizienter mit Excel bearbeiten zu können.
Die Schulungszeit verstrich wie im Fluge. Mit Eifer und großem Interesse dehnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die tägliche Kursdauer freiwillig deutlich über das ursprünglich vereinbarte Maß hinaus aus. Doch blieb neben dem Lernen auch noch genügend Raum und Zeit für eigene Aktivitäten, persönlichen und geselligen Austausch, oder einfach auch nur, um den freundlichen Service und Komfort des Aura-Hotels Saulgrub in der netten Umgebung unter ebenso netten Menschen zu genießen.
Neben dem inhaltlichen Gewinn, den ich aus diesem Kurs für mich gezogen habe, hat mir persönlich auch gut getan, ein paar Tage lang arbeitsbedingt mit Menschen zusammen zu kommen, denen gegenüber ich mich nicht immer wieder wegen meiner vermeintlich „merkwürdigen, bilderfremden Arbeitsweise“ mit „Sprechcomputer“ und der „Stachelschrift unter der Tastatur“ erklären und behaupten musste. Mit seiner persönlichen Arbeitsweise und individuellen Wahrnehmung der Dinge, hier vor allem bezogen auf die Arbeit am PC, einfach so da sein zu dürfen, das ist für mich während dieses Kurses das genaue Gegenteil von anstrengend gewesen. 
Ich wünsche mir daher viel mehr solcher Fort- und Weiterbildungsangebote für blinde und sehbehinderte Menschen, Angebote, die sich zum Gegenstand und zur Aufgabe nehmen, das Know-How einer bestimmten Sache inhaltlich kompetent zu vermitteln, und zwar auf die Wahrnehmungs- und Arbeitsweise dieser Zielgruppe hin adaptiert und nicht etwa so, dass sich diese Zielgruppe die Arbeitsweisen ihrer so genannten nichtbehinderten Umwelt zueigen machen müsste, weil dies die einzig „wahrhaftige“ Form der Wahrnehmung sei. 
Gerade PC-Kurse sollten verstärkt von unabhängigen Bildungsinstituten anstelle von kommerziell orientierten Software- und/oder Hilfsmittelanbietern durchgeführt werden, da Letztere erfahrungsgemäß häufig stärker am Vertrieb ihrer Produkte als an einer sachlich-neutralen Vermittlung von Lerninhalten interessiert sind. Da die Kosten solcher Weiterbildungsmaßnahmen in den meisten Fällen von Arbeitgebern oder öffentlichen Trägern übernommen werden und nicht durch das zu schulende Klientel selbst, ist eine qualitätssichernde Kontrolle der Leistungen solcher Angebote, aufgrund derer nötigenfalls auch Regressansprüche durchgesetzt werden könnten, somit leider nahezu unmöglich. Auf meiner persönlichen Wunschliste stehen neben Bildungsangeboten zu Standard-Office-Anwendungen auch solche zur flexiblen Nutzung und Konfiguration moderner Betriebssysteme, zu professioneller Datenbank- und Softwareentwicklung, Netzwerktechnologie, Hardwarekonfiguration und - nicht zu vergessen – zum kontextoptimierten Einsatz und zur Konfiguration von Hilfstechnologien wie Bildschirmvergrößerung und Screenreader. 
Der oben beschriebene Excel-Kurs macht Gelüste nach mehr, denn es herrscht Lernhunger und Wissensdurst in der Weiterbildungswüste blinder und sehbehinderter Menschen!

Ulrich Hofstetter