Bahnfieber! Ein Tag auf der Südpfalz-Draisinenbahn
Bahnfieber, echt jetzt? Diese Volkskrankheit befiel bei der Anreise zur BOB-Veranstaltung im negativen Sinn schon etliche Teilnehmer auf dem Weg ins schöne Neustadt an der Weinstraße. Die Bahn glänzte mit Unpünktlichkeit, so dass zum Beispiel ein Teilnehmerpaar aus dem Schwarzwald bis in die Pfalz fünf Stunden brauchte, von Lahr nach Neustadt ergibt das eine Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 30 Kilometern pro Stunde. Das ist nicht eben viel und kommt der Fahrt auf einer Draisine doch recht nahe.
Und die Draisine war es, die rund 20 BOB-Teilnehmer am ersten Juli-Wochenende in die Pfalz zog. Draisine, was soll das sein?
Die ursprüngliche Draisine hat mit der Eisenbahn nichts zu tun; denn die gab es noch nicht, als der badische Forstmeister und Erfinder noch dazu Karl von Drais im Jahr 1813 einen vierrädrigen Wagen ohne Pferde vorstellte, der per Muskelkraft über eine Kurbelwelle angetrieben wurde. Der russische Zar Alexander I. fand das Gefährt genial, in Deutschland aber ließ es die Menschen eher kalt. Vier Jahre später stellte Drais das Urfahrrad vor, eine zweirädrige Laufmaschine mit lenkbarem Vorderrad. Der Fahrer saß auf einem Sattel und stieß sich mit den Beinen abwechselnd am Boden ab, die Schuhe erhielten dafür an den Spitzen Metallkappen, um dem Verschleiß vorzubeugen. Drais war sehr begeistert von seiner Erfindung, die er in Mannheim vorführte und schrieb dazu in einer Werbeschrift:
„1. Berg auf geht die Maschine, auf guten Landstraßen, so schnell, als ein Mensch in starkem Schritt.
2. Auf der Ebene, selbst sogleich nach einem starken Gewitterregen, wie die Stafetten der Posten, in einer Stunde 2 [Poststunden Weg]
3. Auf der Ebene, bei trockenen Fußwegen, wie ein Pferd im Galopp, in einer Stunde gegen 4 [Poststunden Weg]
4. Berg ab, schneller als ein Pferd in Carrière [Rennbahn].“
Es sollte noch einige Jahre dauern, bis ein wirklich brauchbares Fahrrad zur Verfügung stand, aber das Fahren mit eigener Muskelkraft und zugleich mit hoher Geschwindigkeit (15 km/h) faszinierten.
Das erste zweirädrige Schienenfahrrad stammt nicht von Drais, es wurde 1837 in Wien vorgestellt. Auch hier stieß sich der Fahrer noch mit den Füßen ab. Später gab es Fahrzeuge, die über einen Handhebel oder über Pedale betrieben wurden. Für diese Fahrzeuge setzte sich die Bezeichnung Draisine durch, obwohl Drais allenfalls die Grundidee beisteuerte. Sie wurden wichtig, um Arbeiter und Material zu Bahn-Baustellen zu bringen und auch im Bergbau spielten sie als „Grubenfahrrad“ eine Rolle.
Von der Stirne heiß …
Bornheim in der Südpfalz: Es ist ein wolkiger erster Juli, als die Bob-Teilnehmer der Draisinen-Fahrt mit Zug und Taxi den Startpunkt des Ausflugs erreichen. Mit den Draisinen wird es über 12 Kilometer nach Westheim gehen. Die Strecke war Teil der „Unteren Queichtal-Bahn“. Sie wurde zwischen 1872 und 1984 genutzt, danach noch einmal für kurze Zeit als Umleitungsstrecke für die Schnellzüge Karlsruhe-Landau-Saarbrücken. Seit 2006 gibt es den Freizeitverkehr mit Draisinen für 4-7 Personen. Bei der Siebener-Version zum Beispiel gibt es im Frontbereich des Fahrzeugs drei Fahrradsattel nebeneinander, hinten auf einer Plattform befindet sich ein rundes Tischchen, um das sich vier Schalensitze aus Kunststoff gruppieren. Der Tisch hat Aussparungen für Getränkeflaschen und in der Mitte ein Loch zum Einstecken eines Sonnenschirms. Zwischen den Sitzen findet sich auch genügend Platz für Rucksäcke, Proviant oder einen Hund. Während also vorne geschwitzt wird, wird hinten gepichelt – gerecht war das Leben noch nie!
Die BOB-Teilnehmer verteilten sich auf zwei Siebener- und eine Sechser-Draisine. In Richtung Westheim gibt es ein ganz leichtes Gefälle, Anfahren und Beschleunigen sind entsprechend leicht, was sich positiv auf die Stimmung der Tretenden auswirkt. Insgesamt zehn Mal muss angehalten werden, denn da kreuzt die Bahn Straßen. Rückfall-Schranken, die quer übers Gleis gehen, verhindern, dass die Draisinen ohne Vorwarnung in den Straßenverkehr rollen, außerdem gibt es bei den großen Kreuzungen Ampelanlagen, die den Straßenverkehr stoppen. All das muss von den Draisinen-Teams selbst bedient werden.
Wer unterwegs ermattet und nicht die Reserve auf der Plattform motivieren kann, macht irgendwo Pause. Das ist einfach, denn die leichten Fahrzeuge können durch technische Hilfsmittel relativ leicht aus den Schienen gehoben und für die Pause neben der Strecke abgestellt werden. Die Draisine für sieben Personen wiegt leer 300 Kilogramm.
Unterwegs riecht es wunderbar nach Wald und Feldern, auch ein leichter Regen kann das Idyll kaum trüben.
Da die Strecke eingleisig ist, gibt es einen klar festgelegten Wendezeitpunkt. Bis 14 Uhr wird in Richtung Westheim gefahren, um 14 Uhr wenden alle Fahrzeuge in Richtung Bornheim, egal wo sie gerade sind.
Wer Westheim erreicht, kann dort die verbrauchten Kalorien nachtanken. Das ist sinnvoll, denn in Richtung Bornheim präsentiert sich das leichte Gefälle des Hinwegs als leichte, aber deutlich spürbare Steigung auf dem Rückweg. Und 12 Kilometer hin heißt eben auch 12 Kilometer zurück. Aber in rund 100 Minuten lässt sich die Strecke bewältigen.
Für BOB war es der zweite Ausflug mit der Südpfalz-Draisinenbahn. Die Teilnehmer, mit denen ich sprechen konnte, genossen den Tag auf der Schienen-Rikscha. Es ist ein wunderbarer Freizeitspaß, an dem auch blinde Menschen ohne Einschränkungen teilhaben können. Und wer eine Kleingruppe zusammen bekommt, soll ruhig buchen. Es soll deutschlandweit rund 30 Strecken geben, irgendeine davon sollte für jeden erreichbar sein. Und wer dann ratternd und quietschend über ausgefahrene Schienen rumpelt, den erfasst dann ein ganz neues Bahnfieber, ein Bahnfieber der Langsamkeit.
Peter Beck
Video 1 von der Draisinenfahrt (mp4)
Video 2 von der Draisinenfahrt
(mp4)