Blindes Vertrauen auf dem Bike

Kürzlich fand die von Werner Sänger aus Holzhausen und Hubert Armbruster aus Renchen-Ulm organisierte Motorradtour für Blinde über die Schwarzenbachtalsperre und den Nagoldstausee nach Bad Wildbad mit der 380 Meter langen Hängebrücke statt. Dabei hatten die 36 Biker aus dem gesamten Bundesgebiet einen der letzten schönen Tage erwischt und natürlich jede Menge Spaß.

„Es ist ein einzigartiges Erlebnis mit Sehenden und Nichtsehenden gemeinsam Motorrad zu fahren“, sagte Rolf Krauß aus Legelshurst, der schon das vierte Mal mit dabei ist. Die Blinden hören und riechen, die Sehenden sehen. „Es gehört ein wahnsinniges Vertrauen dazu, nicht sehend jemanden hinten drauf zu sitzen und sich zu 100 Prozent auf ihn zu verlassen“, sagte er anerkennend. Armbruster suchte bereits das zweite Mal die Strecke aus und war der Guide der Truppe. „Ich fühle mich einfach gut, wenn ich etwas Gutes tue“, erklärte er sein Engagement. Melanie Heberle (32) aus Sigmaringen ist ebenfalls das zweite Mal dabei. „Wir Blinden oder Sehbehinderten können nicht selbst Motorradfahren, da muss man solche Gelegenheiten wahrnehmen“, strahlte sie und freute sich darauf den Fahrtwind und die Geschwindigkeit spüren zu können. Selbst für diejenigen, die noch ein wenig sehen können sei dies ein ganz anderes Erlebnis als in einem Auto, sagte sie. Die Motorradkleidung findet sie richtig cool. „Ich finde das Feeling, den Fahrtwind und das Fühlen der Geschwindigkeit einfach nur klasse“, bestätigte Andrea Czech (51) aus München vor der Tour voller Vorfreude. Sie ist das dritte Mal dabei und ist sich sicher, dass sie, wenn sie sehen könnte, selbst Motorrad fahren würde. Simone Peter (45) aus Nürnberg genießt das Gefühl der Freiheit auf dem Motorrad und findet auch die Gemeinschaft der Gruppe sowie die tolle Atmosphäre zwischen Fahrer und Mitfahrer klasse. Sie genießt es außerdem für ein paar Momente die Kontrolle abgeben und einfach nur sein zu können. Als Blinder müsse man sonst unentwegt aufpassen um sich nicht zu stoßen. Ihr Fahrer ist Claudius Teppe (59) aus Lichtenau, der das erste Mal mit dabei ist und seit 41 Jahren Motorrad fährt. „Als ich davon erfahren habe, war ich gleich dabei. Das ist einfach eine gute Sache“, lobte er. Sein Arbeitskollege Markus Bär (47) aus Holzhausen ist schon Stammfahrer. „Das macht einfach Spaß und es ist toll die Leute kennenzulernen“, erklärte er. Seine Sozius ist Elke Paul (55) aus Mannheim, die immer versucht dabei zu sein. „Wenn ich sehen könnte, würde ich auch fahren. Es ist einfach toll, den Wind um die Nase zu spüren“, schwärmte sie.

„Das war eine tolle Tour und ein schöner Tag“, zog Sänger, Vorsitzender des Vereins „Bildung ohne Barrieren“, der bundesweit aktiv ist, ein durchweg positive Resümee. Seit einiger Zeit schrieb sich der Verein auf die Fahne auch Freizeitangebote wie Städtetouren mit auf Blinde ausgerichteten Besichtigungstouren (mehr erzählen und auch etwas zum Angreifen) anzubieten. 2011 kam Sänger mit einem Arbeitskollegen auf die Idee eine Motorradtour zu organisieren. Dabei wurden Ziele ausgesucht, bei denen es zwischendurch immer mal etwas unter die Finger gab, wie beim Besuch eines Orgelbauers im Schwarzwald. Allerdings stand das Motorradfahren selbst immer im Fokus. Dabei wurde Wert auf kurvenreiche Strecken gelegt, damit die Blinden etwas zum Spüren bekommen. Die Tour wurde über Homepage und Einladungen an Blindenvereine bundesweit ausgeschrieben und gleich sehr gut angenommen. Auch dieses Jahr waren 18 blinde Teilnehmer aus Berlin, Stuttgart, München, Saarbrücken, Hannover, Nürnberg etc. sowie 17 Motorradfahrer und ein Trike bei der 230 Kilometer langen Tour dabei. Das Ziel war die schwankende Hängebrücke bei Bad Wildbad. „Viele denken, Motorradfahren sei für Blinde langweilig“, sagte Sänger. Aber genau das Gegenteil sei der Fall. Wenn man als Blinder durch den Schwarzwald fahre bekomme man die ganzen Gerüche von Tannenwäldern oder frisch gesägtem Holz bei Sägewerken und vieles mehr mit. Auch das Feeling mit dem Fahrer durch die Kurven zu sausen, sei einfach spitze und begeistere die Leute, erläuterte Sänger. Allein der Sound, wenn 17 Maschinen los fahren sei phantastisch, schwärmte er. Ein Blinder bekomme auch keine Angst, weil er die Kurven nicht kommen sieht. Dieser ginge automatisch mit dem Fahrer mit, was vielleicht ein Sehender nicht immer tut. „Außerdem ist das gelebte Integration“, zeigte Sänger auf. Die Motorradfahrer hätten selbst so viel Spaß dabei, dass sie schon von sich aus nach der nächsten Ausfahrt mit den Blinden fragen. Jeder begleitet seinen Sozius den ganzen Tag und erklärt bei den Zwischenstopps auch, was es zu sehen gibt. Auch die Sehenden bekommen einen Einblick in die Welt der Blinden. Unter den Teams haben sich schon richtige Freundschaften gebildet. Wer nicht ausgerüstet ist, bekommt alles Notwendige  geliehen. Die blinden Mitfahrer reisten bereits am Freitag mit der Bahn an. Sie wurden von Sängers und ihrem Nachbarn  am Korker Bahnhof abgeholt und ins Hotel gebracht, wo man abends noch gemütlich zusammen saß. Die sehenden Fahrer kamen am Samstag nach dem Frühstück dazu. Der Abend endete dieses Jahr bei Flammkuchen in einer privaten Scheune in Holzhausen, von wo aus die Blinden mit dem Taxi zurück ins Hotel fuhren. Am Sonntagmorgen fuhren Sängers wieder mit ihrem Nachbarn ans Hotel um die Blinden zurück an den Bahnhof zu bringen. Als Vorsitzender und Organisator ist Werner Sänger natürlich jedes Jahr froh, wenn alle wieder heil am Ziel angekommen sind. „Wenn ich mir überlege, dass jemand wegen ein paar Stunden Motorradfahren von Berlin hier her reist, finde ich das schon gewaltig“, freute er sich über die Begeisterung der Mitfahrer.

Bericht aus der Acher-Rench-Zeitung vom 06.11.2019 als Pdf